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Das Ballhaus „Wiener Spitze“ und seine Geschichte

Das ehemalige Ballhaus "Wiener Spitze" ist wohl nahezu jedem Kirchberger ein Begriff. Fast 170 Jahre hatte es auf dem Buckel. Anfang des Jahres 2020 waren die Tage des Traditionshauses allerdings gezählt. Die Abrissbager machten es dem Erdboden gleich. Ein Blick in die wechselvolle Geschichte.

Im Jahre 1851 kam der Schneidermeister Christian Friedrich Tröger wegen der
Schankkonzession eines von ihm an der Auerbacher Straße zu errichtenden Gebäudes nach Kirchberg. Aufgrund baulicher Schwierigkeiten, führte sein Schwiegersohn Karl Heinrich Franke den Bau zu Ende. Derselbe erhielt auch die diesbezügliche Konzession.
Beim Bau stritten sich zwei Maurer aus dem Kronlande Böhmen, in welcher Richtung wohl ihre Hauptstadt Wien liege. Der eine behauptete, Wien liegt in der Richtung, in die die Spitze des Dachfirstes des neuen Gebäudes zeigt. Der Andere gab eine andere Richtung als die richtige an. Um den Streit beizulegen, fragten beide einen Experten. Gleichzeitig gingen sie eine Wette um ein Quantum Bier ein, das derjenige zu bezahlen hatte, dessen Richtungsangabe die falsche ist.
Derjenige, der behauptet hatte, Wien liege in der Richtung der Spitze, sollte recht behalten. Bei der Eröffnung des Schankbetriebes im Neubau, dem sogenannten „Ofenbesteigen“, wurde die Wette versoffen. Es mag dabei sehr launig und fröhlich hergegangen sein. Franke nahm diese Wette als ein gutes Omen an und nannte deshalb die Wirtschaft „Wiener Spitze“.
1865 erwarb Franke das Garküchenrecht zu der bereits erhaltenen Schankkonzession. Ein Gesuch, Tanzveranstaltungen abhalten zu können, wurde 1868 noch abgelehnt. Franke pachtete deshalb im Rathaus den Ratskeller wegen der Möglichkeit, dort  Tanzveranstaltungen anbieten zu können. Er verpachtete die „Wiener Spitze“ an den Fleischermeister Bruno Schmidt. Im Jahre 1865 verkaufte Franke die “Wiener Spitze“ schließlich an Wilhelm Friedrich Wilde. Nach dem Tode von Wilde ging die Konzession an seine Witwe, später an seinen Sohn Otto Wilde über. 

 Auf diesem Foto sieht man besonders schön den Biergarten und den Mast, an dem das Vogelschießen abgehalten wurde.
 

Im Jahre 1891 kaufte Ludwig Camillo Bräuer - geboren am 8. Oktober 1854 in Kirchberg -die „Wiener Spitze“. Sein Vater Hermann Bräuer war übrigens 1855 Begründer der Freiwilligen Feuerwehr Kirchberg. Camillo Bräuer war bis 1891 Inhaber des „Bayrischen Hofes“ und besorgte auch die Borbergwirtschaft gemeinsam mit Emil Keil.

 1893 läßt Camillo Bräuer einen größeren Umbau vornehmen und einen Tanzsaal anbauen. Aus dem Gasthaus „Zur Wiener Spitze“ wird das Ballhaus „Wiener Spitze“.

Von Camillo Bräuer wird 1897 in der Wiener Spitze eine Schüler - und Studentenherberge mit 35 Plätzen eingerichtet. Im Jahre 1910 wird im Zuge der Verbreiterung der Auerbacher Straße nach einem Entwurf des Landesvereins „Sächsischer Heimatschutz“ ein Anbau , die sogenannte „Einsiedelei“ errichtet. Sie besteht aus Kegelbahn,Wagenremise und einer darüber liegenden kleinen Wohnung mit einer zum Rödelbach gehenden Veranda. In die Grundmauer lässt Camillo einen einige Jahre zuvor sichergestellten Gedenkstein aus dem Jahre 1701 mit eingemeißelten Schwert und Rad einmauern.

Nach dem 1. Weltkrieg übernahm der Sohn von Camillo Bräuer, Erich Bräuer, die Bewirtschaftung. Camillo zog sich mit seiner Frau in die Einsiedelei zurück und betätigte sich als Chronist. Diese Tätigkeit ging er schon viele Jahre zuvor erfolgreich nach.  

Für viele Feuerwehrvereine, Schützengesellschaften, Militärvereine und Turnerriegen war die „Wiener Spitze“ eine Heimstätte geworden. Hier einige Turnerriegen im Bild. So mancher Kirchberger wird hier vielleicht seinen Graßvater wiedererkennen.

Nach dem Tod von Erich Bräuer Wurde die „ Wiener Spitze“ von dessen Witwe Frida und seiner Tochter Brunhilde weiter geführt . Nach deren Heirat mit Werner Hiemer bewirtschafteten beide gemeinsam die „Wiener Spitze“ . In den Jahren 1947/48 ist die „Wiener Spitze“ kurzzeitig an die SAG Wismut verpachtet und trägt den Namen „Klubhaus Geschwister Scholl“.  Während dieser Zeit ist sie nur bedingt Gaststätte. Nach dem Ablauf des Pachtvertrages wird sie wieder Gaststätte mit Hotelbetrieb .Erinnert ihr euch noch an die schönen Tanzabende zum Sängerfasching oder mit Gruppen Gunter-Becher, Sirius, Die lustigen Vogtländer, aber auch die Stern-Combo Meißen brachte Roland Hiemer nach Kirchberg und so mancher Geflügelzüchterverein fand hier einen Ausstellungsplatz.

Der Felsenkeller auf der gegenüberliegenden Straßenseite der zur „Wiener Spitze“ gehörte, wurde bereits 1974 abgebrochen. Man hatte in frührer Zeit dort das Bier gelagert. Und nicht wie viele Kirchberger glaubten, der Neuglückner Stolln hätte sich dort befunden, der 1710 an der Hüttenleithe wurde.




Abbruch des Felsenkellers an der Auerbacher Straße im März 1974.

Nach dem Tod seiner Ehefrau Brunhilde 1975 bewirtschaftete Werner Hiemer die „Wiener Spitze“ gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Roland und Gerhard. Diese führten, nach dem Werner Hiemer am 26.10.1984 verstarb, gemeinsam das früher so beliebte Ballhaus mit der dazugehörigen Gaststätte noch bis zur Wende weiter.

Bereits Mitte der 80er Jahre wollte die Stadt Kirchberg das Ballhaus kaufen und dies zu einem Kulturzentrum umbauen. Damals war die Rede von einem 1,2- Millionen-Mark-Projekt. Doch das Vorhaben scheiterte.
Am 17. Juli 1991 wird die „Wiener Spitze“ als Discothek durch den Pächter Dietmar Klein wiedereröffnet und in der Einsiedelei wird ein Erotikshop für Sexspielzeug und Dessous eingerichtet, innen total umgestaltet. Die Gaststätte sollte als Pizzeria eröffnet werden, was nie geschah. Außen lud ein Kiosk für Kraftfahrer und Spaziergänger zu einen schnellen Imbiss ein. Bereits 1992 war es mit der Disko vorbei. Die Fenster waren vernagelt, das Dach war nur notdürftig geflickt worden. Die Nichtnutzung dieses Gebäudes ohne jegliche Heizung und Lüftung brachte schnell den Verfall, der nicht mehr aufzuhalten war.






Am 19. Juli 2006 gegen 19 Uhr heulte die Sirene, die Feuerwehr Kirchberg rückte aus: der Dachsims des Saales war auf die Straße gestürzt ,und die Wand samt Dach drohte auf die Auerbacher Straße zu fallen. Eine Fahrbahn musste gesperrt werden.




Am 9. August rückte ein Baggerfahrer, beauftragt vom Landratsamt Zwickauer Land und Katastrophenschutz an, und der Saal der „Wiener Spitze“ wurde für  etwa 10.000 Mark abgerissen.  Am 10.August war alles vorbei. Das Ballhaus der „Wiener Spitze“ war Geschichte. Die Stadt Kirchberg kaufte den Rest der „Wiener Spitze“ 2018 für einen symbolischen Preis von 1 Euro. 



Anfang des Jahres 2020 wurden schließlich auch die letzten Gebäude der „Wiener Spitze“ abgerissen.

                                                                                                Eberhard Colditz